Industrial Tech: Das größte Transformationsnarrativ in der Energiewende

Die Energiewende ist eine der großen Herausforderungen für produzierende Mittelständler. Doch gerade technologische Innovationen und Startups können helfen, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu steigern.

In den letzten Jahren standen Unternehmen verstärkt unter dem Einfluss hoher Energiepreise, internationaler Konflikte und strenger Regularien. Gleichzeitig wachsen regulatorische Neuauflagen. Hilfe bieten immer mehr Energie-Startups. Deren Industrial Tech-Lösungen – wie Batteriespeicher, Smart Grids sowie Energiemanagementsysteme – stellen relevante Technologien dar, die es Unternehmen erlauben, Industrie, Energie, unabhängig von den Dynamiken auf dem Strommarkt, zu verwalten und somit gezielt die industrielle Fertigung kostengünstiger zu steuern.

Die Energiewende ist das größte Transformationsnarrativ, in dem insbesondere Startups florieren, hat hy, die Consulting Group von Axel Springer, die ihrem Innovation Report 2024 herausgearbeitet. Das spiegelt sich auch am Kapitalmarkt wider: VC-Investitionen in Startups aus dem Energiebereich boomen. Startups aus dem Energiebereich könnten die Kooperationspartner für Mittelständler werden, um Herausforderungen gemeinsam zu meistern und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu steigern.

Wie das weiterhin gelingen kann und welche Innovationen dabei im Fokus stehen, dazu äußern sich vier Akteure.


Gati Kalim, Head of Venture Portfolio Management, BASF/Chemovator: “Die magische Formel”

Gati Kalim, Head of Venture Portfolio Management, BASF/Chemovator

Wie schaust du auf die Energiewende als Chance für Deutschland und wie sind die Auswirkungen auf große Industrieunternehmen im Vergleich zum Mittelstand?

Gerade beim Thema Energiewende hat Deutschland jetzt die Möglichkeit, eine führende Rolle einzunehmen. Dafür braucht es politischen Willen und mutige Investitionen. Wir haben über unser starkes akademisches Netzwerk die richtigen Talente, Technologieexpertise, Prozess-Knowhow und Zugang zu Anlagen. Es ist jedoch wichtig, zwischen den Beiträgen großer Industrieunternehmen, wie der BASF, und denen kleiner mittelständischer Betriebe zu unterscheiden.

Die BASF kann aufgrund ihrer Größe viele Veränderungen initiieren und vorantreiben, während die Investitionsmöglichkeiten für kleinere Unternehmen deutlich begrenzter sind. Großkonzerne haben somit die Chance, eine Multiplikatorenrolle einzunehmen und nachhaltige Veränderungen in der gesamten Branche zu bewirken.

Vor welchen Herausforderungen stehen Startups als Innovationstreiber im Kontext der Energiewende?

Die Herausforderung für junge Unternehmen und neue Marktakteure besteht darin, die notwendige Skalierungsstufe zu erreichen, um für große Unternehmen ein robuster Lieferant oder Partner zu sein und in bestehende Wertschöpfungsketten einzudringen. Über den Chemovator investieren wir in Frühphasen-Startups und versuchen, die Stärken der BASF strategisch mit unseren Portfoliounternehmen zu verbinden.

Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen?

Ich beobachte, dass „grüne” Themen heute in der Breite von Industrieunternehmen auf der Agenda stehen. Die magische Formel lautet Nachhaltigkeit + ROI = Langfristiger Erfolg. Beide Dimensionen müssen eng miteinander verzahnt sein, um über Pilotprojekte und PR-Kampagnen hinaus echte Erfolge zu erzielen. Auch Investoren zeigen zunehmend Interesse an Green Tech und bringen den Mut auf, selbst in hardware- und kapitalintensive Vorhaben zu investieren. Nach wie vor gilt aber: Sobald Unternehmen in ihrem Wachstum auch steigenden Kapitalbedarf haben, wird es in Deutschland schwer und viele Talente suchen den Weg ins Ausland. Es mangelt nicht an Anschubfinanzierungen, sondern an Kapital für die Growth-Phase.

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Dörte Hirschberg, General Partner Climentum Capital: “Recycelbare Materialien ergeben direkte Vorteile”

Dörte Hirschberg, General Partner Climentum Capital

Wie blickst du auf Industrial Tech insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Energiewende Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellt?

Die Gesellschaft hat das Ziel, die CO2-Reduktion so weit wie möglich voranzutreiben. Oft ist es günstiger, CO2 gar nicht erst entstehen zu lassen. Daher müssen wir unsere Produktion nachhaltiger gestalten. Dies kann durch eine Reduktion des Energieverbrauchs und den Einsatz neuer Materialien erreicht werden, die ressourcenschonender sind. Auch Recycling spielt eine wichtige Rolle, ebenso wie ein Produktdesign, das die Demontage erleichtert und so Recycling- ströme verbessert.

Energieeinsparungen führen zu geringeren Energiekosten, und da unendlich viel grüne Energie noch in weiter Ferne liegt, bleibt dies entscheidend. Zudem werden Rohmaterialien teurer und deren Beschaffung unsicherer. Wenn man auf lokal verfügbare oder recycelte Materialien umsteigt, ergeben sich direkte Vorteile.

Glaubst du, dass für die Industrial Tech Revolution aktuell die richtigen Anreize für Unternehmen und Startups gesetzt werden?

Es ist wichtig, dass die Politik verlässliche Richtlinien vorgibt, damit Unternehmen und Startups langfristig planen können. Auf der Startup-Seite werden aktuell viele Anreize gesetzt, auch durch öffentliches Geld und den Zugang zu Talenten. Für etablierte Unternehmen ist es schwieriger, da sie oft stärker durch kurzfristige wirtschaftliche Ziele eingeschränkt sind. Hier könnte mehr Klarheit und Nachhaltigkeit seitens der Politik helfen.

Was sind die entscheidenden Faktoren für erfolgreiche Partnerschaften zwischen Unternehmen und Startups, um die Energiewende voranzutreiben?

Fehlertoleranz ist ein wichtiger Punkt, da Innovationen oft mit dem Risiko des Scheiterns verbunden sind. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Schaffung von Einfallstoren für Startups, etwa durch spezielle Teams, die sowohl die Unternehmens- als auch die Startup-Sprache sprechen und als Brückenbauer fungieren. Zudem sollten Entscheidungsprozesse auf einer niedrigen Ebene angesiedelt sein, um schnelle und unkomplizierte Kooperationen zu ermöglichen, in denen einfach mal etwas ausprobiert werden kann.

Dörte Hirschberg auf LinkedIn


Max Lüddemann, Co-Founder & CTO trawa: “Mehr individuelle Beschaffungsmodelle, um wettbewerbsfähig zu bleiben”

Max Lüddemann, Co-Founder & CTO trawa

Welche Herausforderungen bringt die Energiewende für Unternehmen mit sich und wie können diese gelöst werden?

Auf der Makroebene führt die Energiewende dazu, dass immer mehr erneuerbare Energien in das Stromnetz integriert werden. Dies führt zu mehr Fluktuation und weniger Planbarkeit. Zudem stehen Unternehmen vermehrt unter regulatorischem Druck, grünen Strom zu beziehen und EU-weite Reportingpflichten zu erfüllen. Auf der Mikroebene bedeutet die Energiewende für Unternehmen, dass sie nicht nur grünen Strom beziehen, sondern auch den Kostendruck bewältigen und Einsparpotenziale realisieren müssen. Energieversorger bieten überwiegend Standardverträge an, die auf konstanten Verbrauchsmustern basieren, und aufgrund stabiler Preise und geringer Volatilität traditioneller Stromerzeugung, in der Vergangenheit effektiv waren. Mit der Integration von über 50 % erneuerbaren Energien im Netz sind diese Modelle jedoch zu teuer und unflexibel geworden. Unternehmen benötigen mehr individuelle Beschaffungsmodelle, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Welche Faktoren machen den Energiemarkt derzeit attraktiv für Startups?

Erstmalig zeigen Nachhaltigkeit und Kosteneinsparungen in die gleiche Richtung. Zudem ziehen sich traditionelle Energieversorger aus dem KMU-Segment zurück, weil sie es aufgrund hoher Beratungskosten und komplexer Verbrauchsmuster als unprofitabel erachten. Es besteht also ein klarer Bedarf an neuen, innovativen Lösungen und Geschäftsmodellen.

Wie kann die Politik Startups besser unterstützen, um die Energiewende voranzutreiben?

Ein wichtiger Schritt wäre die Einführung granularer Grünstromzertifikate, wodurch genau nachvollziehbar wird, wann und wo Strom produziert und verbraucht wird. Darüber hinaus muss der Netzausbau beschleunigt werden, um die zunehmende Einspeisung erneuerbarer Energien zu bewältigen und die Versorgung zu sichern. Die Politik sollte auch die Unterstützung für liberale Strommarktinstrumente wie Power Purchase Agreements (PPAs) erhöhen. Diese Instrumente ermöglichen es Unternehmen, flexibel und kosteneffizient auf erneuerbare Energien zu setzen.

Max Lüddemann auf LinkedIn


Constanze Bashir, Engagement Managerin, hy: “Deutschland trotz des Energiedschungels als attraktiven Produktionsstandort erhalten”

Constanze Bashir, Engagement Managerin, hy

Kostengünstige sowie langfristig grüne Energie ist die Grundlage für eine erfolgreiche Industrie in Deutschland. Die Beschaffung von Energie sollte für Unternehmen kein Dschungel sein, sondern einfach und transparent gestaltet werden. Startups sollten diese Einfachheit und Transparenz durch kollaborative Ansätze in den Mittelpunkt ihrer Lösungen stellen.

Produzierende Unternehmen leiden unter hohen Energiekosten und umfangreichen Reportingauflagen, insbesondere diejenigen, die Teil einer größeren industriellen Wertschöpfungskette sind. Gleichzeitig profitieren Startups zunehmend von den strengen und oft intransparenten Nachhaltigkeitsvorgaben der EU und Deutschlands, denn diese bieten einen fruchtbaren Boden für zahlreiche Dienstleistungen und Technologien, die Unternehmen im komplexen Energiemarkt unterstützen.

Um Deutschland trotz des Energiedschungels als attraktiven Produktionsstandort zu erhalten, spielen Startups also eine Schlüsselrolle. Ein vielversprechender Ansatz bei der Integration komplexer Lösungen ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Startups. Anstatt einen Service nur zu beziehen, sollten Unternehmen innovative Produkte im Rahmen von Partnerschaften mit ausgewählten Startups pilotieren. Das verhindert eine Verirrung im Energiedschungel.

Mein Hacks lauten, Partnerschaften clever aufbauen, um sich selbst aufzuschlauen:

  • Intransparenz auf dem Energiemarkt schürt Unsicherheit und verstärkt den Wunsch nach einfachen Auswahlkriterien – in der Industrie oft die Entscheidung für den kostengünstigsten Weg. Doch das ist nicht immer der beste Ansatz. Die Komplexität von Energielösungen wird in Zukunft eher zunehmen als abnehmen. Wie baut man also eine Partnerschaft auf, von der beide Seiten langfristig profitieren – nicht nur finanziell?
  • Wissensaufbau: Die Energiebeschaffung ist nicht das Kerngeschäft der Industrie. Es braucht klare Orientierung, etwa durch öffentliche Institutionen oder Startups, die proaktiv „einfach einfache” Informationen für den produzierenden Mittelstand bereitstellen – ansonsten wird der Weg aus dem Dschungel mühsam.
  • Offline Beziehung: Energie ist das Fundament der Produktion. Um dieses Fundament wirklich zu verstehen, können Startups gezielt Vor-Ort-Besuche in Fertigungsanlagen anstreben. Diese direkte Interaktion hilft, die Situation der Industrie besser zu erfassen und Vertrauen auf beiden Seiten zu schaffen.
  • Leaner Einkauf: Wer möchte als Anbieter nur durch Unwissenheit und lange Verträge (Lock-In-Effekt) gewählt werden? Das sollte nicht der Anspruch sein. Startups sollten flexible Verträge anbieten, während die Industrie sicherstellt, dass diese auch unkompliziert umsetzbar sind.
  • Autonomiegrad bewusst festlegen: Der Energiesektor wandelt sich – Unternehmen werden zunehmend zu eigenen Energieproduzenten, statt auf klassische Versorgerverträge zu setzen. Lösungsanbieter sollten die Chancen und Implikationen dieser Autonomie klar aufzeigen, damit Unternehmen fundierte Entscheidungen treffen können.

Constanze Bashir auf LinkedIn


Der gesamte hy Innovation Report 2024 kann hier heruntergeladen werden >