Der Menschenkenner: Die Laudatio auf Dirk Roßmann im Wortlaut

Dirk Roßmann ist erster Träger des Preises für das Lebenswerk beim Innovator des Jahres. Der Soziologe, Historiker und Reichtumsforscher Dr. Dr. Rainer Zitelmann hielt eine tiefgründige Laudatio, die wir hier im Wortlaut dokumentieren.

Das „manager magazin“, das ihn in die „Hall of Fame“ aufnahm, schrieb kürzlich: „Roßmanns Lebensbilanz ist die eines Gewinners, und das gleich in mehrfacher Hinsicht.“ In den 90er Jahren gab es in Deutschland noch mehr als ein Dutzend Drogerieketten, heute dominieren drei den Markt. Rossmann ist zwar mit 14 Milliarden Euro Umsatz „nur“ Nr.2 knapp hinter dm (und mit weitem Vorsprung vor Müller), aber laut manager-magazin liegt er beim Gewinn mit großem Abstand an der Spitze. Und ich finde, Gewinn sagt viel mehr aus als Umsatz.

Soweit einige Zahlen, später kommen noch mehr. Wer ist Dirk Roßmann, den man übrigens mit scharfem ß schreibt, während sein Unternehmen mit ss geschrieben wird? Die Antwort finden wir in dem 1912 erschienenen Werk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ des österreichische Ökonomen Joseph Schumpeter, in dem er sich ausführlich mit der Psychologie des Unternehmers auseinandersetzt.

Erfolgreiche Unternehmer als Nonkonformisten

Schumpeter schrieb, dass Unternehmer sich – anders als andere Menschen – nicht im gleichen Maße durch soziale Normen in ihrem Handeln leiten ließen. Ohne dass er diesen Begriff gebrauchte, charakterisierte Schumpeter erfolgreiche Unternehmer als Nonkonformisten: „Jedes abweichende Verhalten eines Gliedes der sozialen Gemeinschaft begegnet der Missbilligung der übrigen Glieder“, so Schumpeter. Diese Missbilligung könne zur „gesellschaftlichen Ablehnung und zur Meidung des Betreffenden“ führen. Die Mehrheit verhalte sich daher konform, aber es gebe andere Individuen, auf die solche ablehnenden Reaktionen sogar „anreizend wirken“ und die „gerade ihrethalben sich abweichend verhalten“.

Derjenige, der etwas „Neues und Ungewohntes“ tun wolle, habe nicht nur mit äußeren Widerständen zu rechnen, „sondern auch solche in seinem eigenen Inneren zu überwinden“. Der von Schumpeter beschriebene Typus des Unternehmers schwimmt „gegen den Strom“. Er führt, anders als der hedonistische, passive Mensch, „den Kampf mit jenen ‚Bindungen‘, den nicht jeder aufnehmen kann“. „Die Tatsache, dass etwas noch nicht getan wurde, wird von ihm nicht als Gegengrund empfunden. Jene Hemmungen, die für die Wirtschaftssubjekte sonst feste Schranken ihres Verhaltens bilden, fühlt er nicht.“

Dieser Typus zieht, so fährt Schumpeter fort, „andere Konsequenzen aus den Daten der ihn umgebenden Welt, als die Masse der statischen Wirtschaftssubjekte“. Diesem Unternehmertyp sei es „sehr gleichgültig… was seine Genossen und Übergenossen zu seinem Unternehmen sagen werden“.

"Für mich ist er der prototypische Unternehmer, wie ihn Schumpeter beschreibt. Dirk Roßmann ist ein Nonkonformist"

Schumpeter fragt, was den Unternehmer antreibt, so zu handeln. Dezidiert wendet er sich gegen die These, „dass das Streben nach Bedürfnisbefriedigung durch Güterkonsumtion“ der primäre wirtschaftliche Antrieb des Handelns sei. Selbst dann, wenn der Unternehmer bereits über bedeutende finanzielle Mittel verfüge, widme er seine ganze Kraft dem Erwerb weiterer Gütermengen. Da über eine – individuell verschiedene – Größe des Einkommens hinaus „die Intensitäten der dann noch unbefriedigten Bedürfnisse außerordentlich gering werden“, könne das Ziel des Konsums das Handeln des Unternehmers allein nicht erklären.

Dirk Roßmann bei seinen Dankesworten

Schwache Menschen, so Schumpeter, kämpften sich mühsam durch die Erledigung der hergebrachten und wiederkehrenden Aufgaben durch. „Der Starke behält dabei einen Kraftüberschuss – er wird ändern und wagen um des Änderns und Wagens willen, immer neue Pläne durchführen und dann an immer weitere herantreten. Aus einem Gegengrund wird die Tätigkeit als solche bei ihm zum Selbstzweck, ohne dass es eines anderen Anstoßes bedürfte: Freude am Tun selbst, ohne jedes andere Motiv, ist sicher eine psychologische Realität.“

Was das alles mit Dirk Roßmann zu tun? Für mich ist er der prototypische Unternehmer, wie ihn Schumpeter beschreibt.

Dirk Roßmann ist ein Nonkonformist. Aber nicht in dem primitiven Sinn, wie wir sie heute oft treffen – Menschen, die glauben, wenn sie einfach das Gegenteil von dem für richtig halten, was Mainstream ist, lägen sie stets richtig. Nein, so ist Roßmann nicht.

Aber er hat sich stets aufgelehnt, und das fing bereits in der Schule an: „Ich habe alles, was mit der Schule zu tun hatte, gehasst. Es war furchtbar. Ich wollte ja lernen, aber mit Zucht und Ordnung war bei mir nichts zu holen. Deswegen frustrierte mich dieser Ort nur“, schreibt er in seiner Autobiografie, die übrigens ein SPIEGEL-Bestseller war, so wie mehrere seiner Bücher.

Zur Bundeswehr wollte er nicht, weil er sich um die Drogerie seiner Mutter kümmern musste. Er wollte aber auch nicht den Kriegsdienst verweigern. Er rückte unter Protest ein, verweigerte aber konsequent über Monate hinweg jeden Befehl, und zwar so lange, bis man ihn in die Bundeswehr-Psychiatrie einlieferte. Nachdem er da raus war, kletterte er in Uniform auf einen hohen Baum und blieb stundenlang dort sitzen, bis ihn die Feuerwehr herunterholte. Schließlich erreichte er, was er wollte und wurde aus der Bundeswehr entlassen.

Schon mit zwölf oder dreizehn Jahren fing er an, Geld zu verdienen

Roßmann fing schon sehr früh an, unternehmerisch zu handeln. Er sparte sein Geld, lieh sich noch etwas dazu und hatte damit das Eigenkapital, um schon mit 16 Jahren seine erste Immobilie – eine Eigentumswohnung für 66.000 D-Mark – zu erwerben. Schon mit zwölf oder dreizehn Jahren fing er an, Geld zu verdienen. Er hatte die Idee, die Kunden zu Hause mit Produkten aus der Drogerie seiner Mutter zu beliefern, machte damit 5.000 D-Mark Umsatz und 500 Mark Gewinn im Monat – damals sehr viel Geld. Bald schon lieferte er nicht mehr selbst aus, sondern stellte seinen Bruder an.

1972, im Alter von 25 Jahren, eröffnete er seine erste eigene Drogerie. Er hatte eine Idee, die sofort einschlug: Zum ersten Mal sollten Drogeriewaren in Deutschland in einem Selbstbedienungsladen angeboten werden. Die Kunden standen schon bei der Eröffnung Schlange und seine kühnsten Erwartungen wurden übertroffen. Im Überschwang der Gefühle lies er eine Kundin mit 150 D-Mark Ware im Einkaufswagen vorbeiziehen, ohne dass sie bezahlen musste. Heute besitzt Roßmann Tausende Filialen in zahlreichen Ländern und beschäftigt mehr als 62.000 Mitarbeiter.

Wie viele andere erfolgreiche Unternehmer, die ich für meine Dissertation „Psychologie der Superreichen“ interviewte (Roßmann gehörte nicht dazu, denn ich lernte ihn erst danach kennen), hat er nicht studiert und kein Abitur. Aber schon als Jugendlicher begann er, sich für Philosophie zu interessieren, vor allem Schopenhauer tat es ihm an.

Später wandte sich sein Interesse der Psychologie zu. Er begann selbst eine Therapie. Er habe anfangs beispielsweise ein schlechtes Gewissen gehabt, Mitarbeiter zu entlassen. Das scheint später nicht mehr sein Problem gewesen zu sein, denn selbstkritisch beschreibt er, wie er oft aufbrausend war und Dampf an anderen abließ.

"Was Roßmann sein Leben lang antrieb, ist ein ungeheurer Freiheitsdrang. Er ist kein Mann, der Wert auf Luxus und teure Konsumgüter legt"

Roßmann ist ein begeisterungsfähiger Mensch. Und so begeisterte er sich so stark für die Psychologie, dass er schließlich selbst eine Ausbildung als Gestalttherapeut und in Themenzentrierter Interaktion begann. Er schrieb sogar gelegentlich in Fachzeitschriften über psychologische Themen und schickte seine Führungskräfte in gruppendynamische Kurse.

Als ich ihn das erste Mal zu Hause besuchte, sagte Roßmann nach etwa zwei Stunden: „Herr Zitelmann, Sie sind ein hoch intelligenter Mann, aber Sie sind ja nicht erwachsen. Wissen Sie das?“ Er hatte mich in zwei Stunden so gut durchschaut, wie sonst nur meine langjährige Freundin Trang, die stets meint, ich sei eigentlich wie ein Kind.

Was Roßmann sein Leben lang antrieb, ist ein ungeheurer Freiheitsdrang. Er ist kein Mann, der Wert auf Luxus und teure Konsumgüter legt. Im „manager magazin“ ließ er sich neulich mit Jeans und Hemd lässig abbilden – der Mann braucht keinen Schlips, um ernst genommen wurden. Er ist heute mehrfacher Milliardär, einer der reichsten Deutschen. Forbes schätzt sein Nettovermögen auf 4,6 Milliarden Dollar. Aber er fährt ein altes Auto, hat ein altes Handy (kein Smartphone), besitzt weder Jacht noch Jet und gibt nur für Bücher gerne viel Geld aus, und wenn er verreist, geht er natürlich gerne in ein gutes Hotel.

Geld ist für ihn ein Mittel, um frei und unabhängig zu sein: „Der Mensch braucht Geld, um frei zu sein. Eine simple Weisheit. Und ich wollte so viel Geld verdienen, dass ich unabhängig war und in der Lage, entscheiden zu können, was ich tun möchte“, sagt er.

Freiheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit

Das war auch das Motiv, selbstständig zu werden. Er „wollte niemandem Rechenschaft ablegen müssen, niemals Befehlsempfänger sein. Lieber wollte ich einmal einen kleinen Kiosk an der Ecke unserer Straße betreiben, als dass ich eine gut bezahlte Stelle in einem Unternehmen annahm, in dem ein Chef das Sagen hatte.“

Freiheit gehe immer einher mit einer finanziellen, einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Auch dieses Motiv verbindet ihn – wie übrigens viele andere Dinge auch – mit den Reichen, die ich für meine Dissertation „Psychologie der Superreichen“ interviewt habe.

Wie die meisten erfolgreichen Unternehmer berichtet er, dass er sich bei allen wichtigen Entscheidungen „mehr auf mein Bauchgefühl als auf meinen Kopf“ verließ. Bauchgefühl ist freilich nichts Irrationales, sondern nur ein anderes Wort für implizites Wissen, also ein Ergebnis von impliziten Lernprozessen. „Bis heute bin ich ein intuitiver Mensch. Wenn mir mein Gefühl etwas sagte, habe ich mich daran gehalten, egal wie verlockend etwas war. Sagte mein Bauchgefühl Nein, ließ ich die Finger davon“, sagt Roßmann.

Der Psychologe Gerd Gigerenzer betont insbesondere den Wert der Intuition. Eine Intuition oder ein Bauchgefühl, so Gigerenzer, ist ein Urteil,

  1. „das unvermittelt im Bewusstsein auftaucht,
  2. dessen tiefere Gründe uns nicht ganz bewusst sind,
  3. das stark genug ist, um danach zu handeln“.

Es handle sich dabei um eine Form unbewusster Intelligenz. „Die meisten Regionen unseres Gehirns sind unbewusst, und wir wären wohl verloren, ohne den dort gespeicherten immensen Bestand an Erfahrung. Rechenintelligenz mag bei bekannten Risiken ausreichend sein, doch angesichts von Ungewissheit ist Intuition unentbehrlich“, so Gigerenzer.

Eine Untersuchung von 83 Nobelpreisträgern in Wissenschaft und Medizin ergab, dass 72 von ihnen stark die Bedeutung der Intuition für ihren Erfolg betonten. Und in den Interviews für meine Dissertation betonten die meisten Unternehmer, dass sie eher mit dem Bauch entscheiden.

Manche klugen Leute, so zitiert Roßmann seinen Freund Claus Bingemer, den Gründer der Hannover Rück, seien deswegen nicht erfolgreich, weil sie zu viel über alles nachdenken, nur die Risken sähen und abwägten. „Der weniger Kluge – aber vielleicht Cleverere -, der macht einfach etwas. Der hadert nicht ständig.“ So machte Roßmann beispielsweise einem Taxifahrer, der ihm gefallen hat, spontan ein Jobangebot – und der stieg bis ins mittlere Management seiner Firma auf.

Krise als Ausgangspunkt für Änderungen

Roßmann beschreibt auch die Krisen und Rückschläge, die er durchmachte. Die Schuld dafür suchte er nicht bei anderen, sondern bei sich selbst – auch eine Gemeinsamkeit, die ihn mit den Interviewpartnern in meiner „Psychologie der Superreichen“ verbindet. Er verzettelte sich in Konflikten mit großen Kosmetikherstellern  und machte hoch riskante Geschäfte an der Börse wo er beispielsweise ein Geschäft mit Put- und Call-Optionen abschloss, bei dem er 100 Millionen D-Mark einsetzte. Wenn ich selbst Dirk Roßmann einen einzigen Tipp geben dürfte, wäre es der, nicht mehr an der Börse zu spekulieren, obgleich er das in letzter Zeit mit großem Erfolg getan hat.

Mit 50, als sich sein Unternehmen in der schwersten Krise befand, hatte er einen Herzinfarkt. Selbstkritisch analysierte er, dass er den Fokus verloren hatte – mit all seinen Aktienspekulationen und nervenaufreibenden Prozessen mit der Kosmetikindustrie. Die Krise war jedoch der Ausgangspunkt für viele Änderungen, die das Unternehmen wieder extrem erfolgreich machten. So fing er beispielsweise an, Eigenmarken zu produzieren, mit denen sich sehr viel mehr verdienen lässt als mit dem Absatz von Produkten anderer Produzenten. Roßmann gelang es, so wie allen Erfolgsmenschen, aus Niederlagen Siege zu machen.

Was ich an Roßmann aber am meisten schätze, sind seine Ehrlichkeit und Warmherzigkeit. Aus Untersuchungen wissen wir, dass die meisten Menschen Reiche für unehrlich halten. Wir wissen aber auch, dass die Menschen, die selbst Reiche persönlich kennen, diese meist für ehrlich halten.

Roßmann ist ein ehrlicher Mensch, auf dessen Meinung ich daher viel gebe. Wenn er mich oder ein Buch von mir lobt, weiß ich, dass es ehrlich ist, weil er mir auch sagt, wenn er glaubt, dass ich daneben liege.

Man könnte noch so viel über ihn sagen, vor allem, dass er neugierig ist und stets neue Herausforderungen sucht. Vor einigen Jahren ist er sogar Schriftsteller geworden und hat angefangen, Bücher zu schreiben. Auch damit ist er überaus erfolgreich und brachte es mit jedem seiner Bücher auf die SPIEGEL-Beststellerliste. Und wenn er irrte mit manchen Prognosen, dann gab er das mit entwaffnender Ehrlichkeit zu.

Dirk Roßmann ist für mich vor allem ein Meister der Menschenkenntnis. Wenn Sie ihn kennen lernen, wird er Sie blitzschnell analysieren. Aber nicht theoretisch, sondern intuitiv. Und nicht, um einen Vorteil für sich zu gewinnen, sondern um Sie zu verstehen. So, wie er auch die Wünsche seiner Kunden besser versteht als viele seiner Wettbewerber. Denn Milliardär wurde er dadurch, dass er diese Bedürfnisse besser und schneller erfasste als viele seiner Wettbewerber, die auf der Strecke blieben.

Bericht von der Verleihung

Verleihung des Lebenswerk-Preises an Dirk Roßmann (Mitte) am 14. November 2024 im China Club in Berlin. Links Michael Oelmann, rechts Dr. Rainer Zitelmann
Verleihung des Lebenswerk-Preises an Dirk Roßmann (Mitte) am 14. November 2024 im China Club in Berlin. Links Michael Oelmann, rechts Dr. Rainer Zitelmann