“Kill-the-Concept”: Exnovation in einer innovationsorientierten Welt

Die Bühne gehört nach wie vor der Innovation. Die sogenannte »Pro-innovation-bias« sorgt dafür, dass die Begrifflichkeit der Innovation nach wie vor fast ausschließlich positiv besetzt ist. Doch bei Spezialisten für Innovation hat sich bereits eine neue Sichtweise durchgesetzt: dass auch Aufhören zum Anfangen gehört.
Auch, wer die Exnovation meistert, schafft demnach einen wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil. Professor Dr. Stephan Friedrich war einer der Ersten, der die Kraft offener Strategie- und Innovationsarbeit erkannte. Für ihr Buch “Exnovation und Innovation” interviewten ihn Professor Dr. min. Sandra Bils und Dr. Gudrun L. Töpfer.
Sie haben sich einem besonderen Ansatz der Innovation, nämlich der offenen Innovations und Strategiearbeit verschrieben – was bedeutet das?
Prof. Dr. Stephan Friedrich von den Eichen: Ich sehe den »Open Approach« als Alternative zum »klassischen« Ansatz. Umso komplexer die Herausforderung ist, die es zu meistern gilt, umso eher scheitert man mit dem »klassischen« Ansatz: Wenige »Auserwählte« denken über die Zukunft nach und bestimmen den Weg, den das Unternehmen zu gehen hat. Wir schlagen etwas anderes vor: Viele, nicht nur Topführungskräfte oder am Ende nur die »Person an der Spitze«, sind eingebunden. Sie kommen aus unterschiedlichen Bereichen, aus verschiedenen Unternehmen, am besten aus verschiedenen Branchen. Es braucht Perspektivenvielfalt, sonst haben wir zu »einfache« Lösungen, die den Herausforderungen, die sich stellen, immer weniger gerecht werden. Dieses Mehr an Komplexität zahlt sich aus: bessere Strategieinhalte, wenn man Strategieformulierung und -umsetzung zusammennimmt, eine viel kürzere Zeit bis zum Resultat und – am wichtigsten: die Mobilisierung im Sinne der Strategie bzw. des neuen Weges.
Wie fügt sich in dieses »Open Strategy«-Prinzip die Exnovation ein?

Der Text entstammt dem Buch “Exnovation und Innovation. Synergie von Ende und Anfang in Veränderungen” von Prof. Dr. min. Sandra Bils und Dr. Gudrun L. Töpfer, erschienen im Verlag Schäffer-Poeschel (49,90 Euro)
Verbindungen kann man in mehrerlei Hinsicht erkennen – zunächst inhaltlich: Man bekommt durch den offenen Denkansatz eine andere Sicht auf die Dinge. So stellt sich dann unweigerlich die Frage: Wenn das unser neuer Weg ist, brauchen wir dann »das« überhaupt noch alles? Vor dem Hintergrund der neuen strategischen Rolle, die man anstrebt, verliert anderes an Bedeutung. Es kann sein, dass etwas, obwohl es für sich betrachtet vielleicht sogar funktioniert, »wertlos« im Sinne des neuen Ganzen wird. Und bei solchen durchaus heiklen und nicht emotionsfreien Fragen hilft der Blick von außen. Beim Erkennen, aber insbesondere auch bei dem »Ent-Emotionalisieren« hilft der unverfälschte Blick auf die Gemengelage enorm. Zudem sind die Externen nicht in Pfadabhängigkeiten verstrickt oder müssen interne Organisationshemmnisse befürchten. Sie können also recht »ungestraft« heilige Kühe schlachten und treffen damit vielleicht sogar den Nerv vieler Beteiligter, die Ähnliches gedacht, aber nicht laut gesagt haben.
Gibt es konkrete »Werkzeuge«, die man für die Exnovation nutzen kann?
Da lässt sich etwa »Kill-the-Concept« nennen. Hier geht es darum, dass bereits Erdachtes, sei es eine neue Idee, ein Geschäftsmodell oder eine ganze Strategie, auf den Prüfstand kommt. Die Aufgabe ist es, – in konstruktiver und respektvoller Weise – etwas zu »killen« und – wenn es zu wenige Argumente dafür und zu viele gute Gründe dagegen gibt – die Sache dann konsequent zu »ex-innovieren«. Der Mehrwert liegt im ganzheitlich-kritischen Blick von außen auf die Sache, und zwar mit dem Ziel, Hürden und Schwächen aufzudecken, die man selbst nicht sehen kann oder auch nicht sehen will. Dazu benötigt das Unternehmen, das sich diesem Prozess aussetzt, einiges an Mut. Doch der Mut wird belohnt. Man kommt zu einem Ergebnis und kann dann auf Basis der guten Argumente (von außen) Entscheidungen exekutieren, ohne emotional verbrannte Erde zu hinterlassen.
Warum ist die emotionale Seite so wichtig?
Vielfach fehlt das Verständnis, inwiefern Exnovation eine notwendige Grundlage und auch notwendige Konsequenz von Innovation ist. Zum einen ist ein Wunsch nach Kontinuität zu erkennen, als dem Stabilhalten dessen, was in der Vergangenheit gut funktioniert hat. In Zeiten ständiger Veränderung und einer gewissen Hektik ist dieses Ansinnen zwar verständlich, es verstellt jedoch den Blick auf die Schätze, die mit Exnovation gehoben werden können. Außerdem kann beobachtet werden, dass besonders jene Dinge nicht zur Abschaffung zur Diskussion stehen, in denen die beteiligten Personen ihre Historie und auch einen Teil ihrer Kompetenzen sehen. Aber es sind zwei unterschiedliche Dinge: Wie gut man etwas beherrscht und wie wichtig es für die Wertschöpfung ist. Dies muss getrennt betrachtet werden. Dass Geschichten des Rückzugs und Abbaus selten positiv konnotiert sind und – ohne Grund – mit Scheitern verknüpft werden, macht das ohnehin anspruchsvolle Vorhaben nicht unbedingt wahrscheinlicher. Das wiederum hat etwas mit den Wurzeln unserer »Managementkultur« zu tun – ist aber wieder eine andere Geschichte …
Welchen Nutzen sehen Sie in gezielt gesteuerter Exnovation?
Wir leben in einer Umwelt knapper Ressourcen. Wenn das für die gesamte Umwelt gilt, gilt es notwendig auch für Wirtschaftsunternehmen. Die knappen Ressourcen mögen Rohstoffe oder Personen mit speziellem Fachwissen sein, es können aber gleichermaßen so allgemeine Ressourcen wie Zeit und Geld sein. Ein zentraler Wettbewerbsfaktor besteht darin, unterscheiden zu können, wohin man Ressourcen fließen lässt, also wohin man Kräfte konzentriert. Diese Kräftekonzentration lässt sich auf die Formel verdichten, dass Ressourcen auf Wesentliches gebündelt werden müssen und bei unwesentlichen Dingen Ressourcen geschont werden müssen, mit dem Ziel, in entscheidenden Momenten und für die schwierigen Aufgaben mehr Kräfte zur Verfügung zu haben. Sobald klar ist, was das Wesentliche eigentlich ist, ergibt sich daraus zwangsweise eine Erkenntnis darüber, was unwesentlich ist: Dies muss in letzter Konsequenz reduziert oder eben »abgeschafft« werden. So wird das Abschaffen zum integralen Bestandteil unternehmerischen Handelns und zum Werkzeug nachhaltiger Wertsteigerung. Und hier liegt am Ende die Wurzel unternehmerischer Erfolge in turbulenten und komplexen Zeiten.
Bild oben: Gerd Altmann auf Pixabay